Samstag, 7. April 2012

Endspurt (elmo)

Oh, das ist ganz wunderbar. Der erste Post in einem fremden Blog:
 http://www.synapse-redaktion.de/2012/04/endspurt/
Ganz bald - irgendwann im Mai - dann auch in der gedruckten Version der Synapse zu lesen!

Und hier zur Vollständigkeit auch noch mal:

Endspurt
„Endspurt“ lese ich und denke, fuck, das kann doch nicht so schwer sein. Endspurt kann viel sein und Peter Murphy dröhnt aus den Laptopboxen, Up in arms/Up and tight/Memory go/A backwards sight, und ich trinke einen Schluck Wasser aus der zu oft befüllten Adelholzner-Flasche, wenigstens passt die Aufschrift „still“ noch.
Also Endspurt – klingt nicht nach einem besonders guten Wort, aber klingt vertraut. Endspurt ist eher etwas Negatives, denke ich, ja, etwas grundsätzlich Negatives, alles geben im letzten Moment, Scheiße Mensch, warum gibst du erst jetzt alles? In Anbetracht der Lage überdenkst du erneut deine Leistungsbereitschaft und zeigst etwas mehr von deinem wahren Ich. Lebst du sonst auch nur 60%, pokerst du auch so – manche würden sagen, ohne Eier, Junge – und erst am Ende, wenn du geschlagen bist, dann gehst du all-in, sozusagen dein all-out, dein verzweifelter Versuch das Steuer rumzureißen und 100% zu leisten. Ich glaube, wenn du es erst dann versuchst, schaffst du es erst recht nicht mehr. Übernimm dich nicht, Kind.
Oh man, so geht das nicht, die Leute wollen unterhalten werden. Vor ein paar Minuten sagten Trent und Peter, So we changed the mood, und vielleicht haben sie ja Recht und dann später Joy Division, Don’t turn away in silence. Das war eben kein schönes Vorspiel, es war hart und roh, sozusagen literarische ultraviolence. Das ist gut, Themawechsel ausgeschlossen, aber das Setting ändern. Also weniger negativ, weniger denken. Ich ändere die Musik zu „ our good ol‘ friend Ludwig van“ – ganz nach ultraviolence – und gehe in die Küche. Ich bin allein in der WG, sehr gut, ich gehe zurück in mein Zimmer und stecke die richtigen Boxen in den Laptop und drehe auf. Zurück in der Küche, der dreckigen Küche mit dieser verkackten Fritteuse, die nur Frittenbuden-Flair in die Luft wirft, schaue ich mich um. Ah fuck, das wird auch nicht besser hier, das sind auch keine 100%. Danke Spiegel. Gegen den falschen Spiegel kann man allerdings was tun. Ich nehme mir ein Whisky-Glas und gehe in mein Zimmer zurück, die Musik bleibt laut, vielleicht hindert sie mich am negativen Denken, am Denken überhaupt. Red Label kommt ins Glas, dazu brackiges Wasser, das geht sich so aus.
Neuer Versuch, Endspurt ist gut. Mantra-artig bis dann endlich, Spurt klingt wie Sport, beides läuft auf Rennen hinaus, haha. Ich war nie besonders gut in Sport, außer dass ich ein passabler Handballspieler war und ein mittelprächtiger Sprinter, aber das passt ja auch irgendwie zusammen. Sprinten ist immer Endspurt, alles geben von Anfang an, doch im Vergleich zu dem Endspurt kurz vor dem lang ersehnten Ziel, wenn deine Muskeln schreiend brennend reißen drohen, ist der Sprint kontrolliert. Kontrolle ist besser, besser als gewagtes Ausbrechen. Obwohl das ja irgendwie alles-geben widerspricht. Alles-geben im Sinne von alles riskieren, auch wenn man vielleicht stürzt. Das wäre natürlich schlecht.
Schlecht ist auch, dass es das dritte Glas ist, das soeben leer gegangen ist. Ich schenke nach, weniger Wasser.
In Endspurt steckt auch Ende, Ende so wie aus und vorbei und Ende wie Ende Neu. Ludwig spielt auch nicht mehr, aus und vorbei. In der Stille sitze ich und trinke noch einen weiteren Schluck und denke nach und lausche vergangenem Nachhall. Memory go. Wann ist es wirklich still? Scheiß Endspurt, denke ich, negative Dinge denke ich. A backwards sight. Still war es als Frau M. starb. Ich habe sie gehasst, aber ihr Tod war ein Erfolg für sie und ich habe mich gefreut. Ich war nicht allein. Es gibt den Endspurt auch in die andere Richtung, am nächsten Tag wären ihr unendlich Anstrengungen zuteil geworden. Verlegung auf Intensiv um 9 Uhr morgens, aber sie ist in die andere Richtung gelaufen, ist uns in der Nacht entwischt. Hat sie gut gemacht, haben wir gesagt. Ich habe den rauschenden Sauerstoff ausgemacht und ihr die Plastikmaske vom Kopf gezogen, die Gummischnüre haben tiefe dunkelrote Täler in tote Haut gepresst, dann habe ich ihre Augen geschlossen. Wir waren zufrieden. Wir haben ihr die paragelaufene Nadel gezogen und den Urinkatheter entfernt. Wir haben sie sauber gemacht und sie dann mit einem frischen Laken bedeckt. Der Kopf blieb frei. Wir haben gelächelt. Es war eine gute Nacht. Im frostigen Morgengrauen standen wir zu zweit im Rauch einer Zigarette auf der Dachterrasse und es hat ein Stückchen weniger gefroren. Dies war eine gute Nacht, die Nacht ist vorbei und wir alle sind einmal der versuchten Vergewaltigung entkommen. Wir werden nicht mehr seelisch ausgebeutet. Sie ist uns entkommen und irgendwann hoffe ich auf das gleiche. Auf einen letzten Endspurt treffen wir uns dann an meinem Krankenbett in der Onko oder steht ihr neben meinem zerschellten Autowrack. Wenn ja, dann feuert mich bitte an, auf dass ich schneller laufe, als die weißen Kittel und blauen Kittel sich mit mir um die Wette drehen können.
Endspurt ist also nicht grundsätzlich schlecht, aber auch sicher nichts Fröhliches. Ich denke zurück an den Schulsport und frage mich, Seit wann sind wir nicht mehr rein und unschuldig, Was ist passiert, dass wir mit dem Tod lachen können? Oder ist das gut so und gewollt? Wer hat wen bei unseren täglichen Endspurten zurückgelassen, als er rücksichtslos nach vorne geprescht ist? Egal. Ich habe Mitleid verloren. Zu oft haben sie Raubbau an meiner Grundsubstanz betrieben, tagelang und nächtelang, diese Menschen, diese vegetierenden Noch-nicht-Sterbenden, die sich nicht trauen ihren letzten Weg zu sprinten, die nur an uns zehren, uns konsumieren. Egal.
In der Flasche ist noch zwei Finger breit dunkles Gold und setzte sie an. Endspurt, dann weiterleben. Einfach so.

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