Sonntag, 31. Juli 2011

Wie soll es auch anders sein? - (elmo)

 Eine mittlerweile fast drei Jahre alte Kurzgeschichte über eine schwerwiegende Entscheidung,  unabdingbare Schuld und  einen unliebsamen, rohen Neuanfang.

Wie soll es auch anders sein?

Ein alter Priester stand am Straßenrand im Müll und schrie durch sein Megaphon. Im vorbeigehen lauschte ich ihm und verstand kein Wort. Langsam ging ich weiter durch die nächtlichen Straßenschluchten, um Ecken herum, die kein Licht vorbeiließen. Aber ich war nie allein und ich blieb auch nie stehen. Langsam aber zielstrebig verschwand ich in immer kleinere Straßen.
Erst als ich mein Ziel erreichte, wurde ich langsamer und blieb dann schließlich stehen. Der in Schatten gehüllte Mann war mir von einem alten Freund empfohlen worden; er verstand angeblich sein Geschäft. Ein letzter Schritt.
Bei diesem Schritt streckte ich ihm gleichzeitig das Geld hin. Bei diesem Schritt warf ich all meine Zurückhaltung und all meine Vorsicht in den uns umschließenden Müll. Bei diesem Schritt verdammt ich mich, riss ein Stück aus mir heraus, das ich nie wieder zurückbekommen würde, und fühlte Schmerzen. Bei diesem Schritt sah ich in die offene Sporttasche mit all den Utensilien, doch ich erschrak nicht. Bei diesem Schritt verwarf ich meine Jungfräulichkeit und Unschuld in einer hoffnungslosen Zukunft.
Als alles vorbei war zitterte ich an meinem geschundenen Körper, ich hielt mich an der Mauer fest bis meine Knie nicht mehr unter dem Gewicht der Schuld nachzugeben drohten. Mein Körper war so verwirrt wie mein Geist. Schmerz und Freude übermannten mich zugleich. Aber das stärkste Gefühl war wohl Genugtuung. Darüber sich selbst besiegt zu haben und darüber nun ganz am Boden zu sein. Schlimmer konnte es selbst in dieser kaputten Welt nicht mehr werden. Auch diese Welt hatte in ihrer verwüsteten und zerrissenen Eigenheit Grenzen. Qualen konnten nicht ins unendliche gesteigert werden. Irgendwann brach der Mensch zusammen und dann war alles überstanden. Aber ich hatte es nun überstanden ohne vernichtet zu sein. Es konnte aufwärts gehen. Um weiterzumachen musste ich mich selbst umbringen und die Narben es Erfolgs würden mich nie wieder freisprechen. Schuld stand über meinen ganzen Körper geschrieben. Mit fremden Buchstaben, die doch jeder lesen konnte. Ein unwiderruflicher Schritt.
Noch ein letztes Mal atmete ich tief ein. Die Luft des Ortes, den ich nie vergessen würden könne. Luft, die nach Tod und Geburt gleichzeitig stank; ja, sie roch schwanger. Zwillinge: Unermessliches Leid und ungebremste Freude. Nur meine Freude blieb für die anderen unsichtbar. Man musste mich nicht verstehen, denn ich konnte es selbst noch nicht ganz. Aber alles gab mir das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein: nicht auf dem rechten, aber dem richtigen für mich. Ich fing an ihn zu gehen.
Als ich nach einiger Zeit wieder an dem Priester vorbeikam, warf dieser sein Megaphon in den Dreck und lief auf mich zu. Dieses unausweichliche Gespür musste etwas mit der Berufung und totalen Widmung zu seinem Gott zu tun haben. Er packte mich an den Schultern und sagte, dass er mich wiedererkennen würde, und dass ich jetzt gebückt gehen würde. Er fragte mich, ob er sich denn nicht irren könnte, ob er vielleicht doch falsch liegen könnte, und ich sagte nichts, ich sah ihn nur an. Da fragte er mich eine Frage, die er schon viel zu oft gestellt hatte: „Hast du vom Sakrament des Teufels gekostet? Hast du deine Körpern so mit Schuld überfüllt, dass jede Berührung andere Menschen infizieren kann?“ Auch er konnte mich nicht verstehen, denn alles, was er hörte, waren die Worte: „Wie soll es auch anders sein?“
Langsam drehte ich mich weg und setzte meinen neuen Weg fort, während hinter mit ungeachtet von der weinenden Welt ein alter Priester auf die Knie sank und auch das Schluchzen anfing.

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