Dienstag, 29. Mai 2012

Die Unwucht in mir (elmo)


Für die Einzige

Die Unwucht in mir

Wie bist du eigentlich hier her gekommen? Ich bin der Meinung, dass ich die nie hierher eingeladen habe. So fremdkörpergleich spüre ich dich in mir. Wenn ich Hüpfe spüre ich, dass mein Gewicht nicht stimmt, und auf einem Bein kann ich kaum noch das Gleichgewicht halten. Du bist die Unwucht in mir. Und doch - bist du nicht vollkommen unbekannt. Es fühlt sich an, als ob du schon lange hier wärest, vielleicht sogar, als ob du auf mich gewartet hättest. Du scheinst ewig, du hier in meinem Innersten bevor es existierte. Wie kann das sein? Hast du dich ganz langsam an mich herangepirscht, mit jedem meiner Wimpernschläge einen Hauch näher heran an mich - in mich. Etwa so zart und unschuldig, dass ich dich von jeder Schuld freisprechen möchte? Bis du dann mich von innen erfüllst und antreibst, nun jede Handlung diktierst. Aber ich unterstelle dir ein heimtückisches Momentum, so wird es für mich greifbarer, doch die Frage bleibt: Wie kann das sein?
Verzeih mir diese Frage, aber antworte mir. Von deinem Mantel der Unsichtbarkeit entblößt, erschrickst du mich. Mein Körper erzittert unter dieser Erkenntnis, während mein Herz erstarrt. Wieso ist mein eigenes Herz mir so fremd - der vertraute Puls in meinen Arterien, ich vermisse ihn.  Du bist nicht nur ein Eindringling, du bist auch ein Dieb. Du hast mir meinen angeborenen Rhythmus gestohlen und durch etwas ersetzt, was mich weniger frei atmen lässt. Sitzt du da auf meinem Herzen? Hältst du meine Lungenflügel so fest umklammert? Oder nährst du dich - in mir - von mir? Verbrauchst du etwa all jenen kostbaren Sauerstoff den ich mühsam in mich hineinsauge? Hör auf damit!
Niemand hat dir die Erlaubnis gegeben - ich habe dir die Erlaubnis nicht gegeben! Lass es oder zeige dich wenigstens. Du kennst mich wohl gut, aber du bleibst unerkannt. Ich weiß, dass du da drin steckst, also zeige dich. Lass mich an meinem Selbstverlust, dem Raubbau an mir selbst teilhaben, lass mich, wenn auch kraftlos, wenn auch machtlos, wenigstens zusehen. Ich will  mich von mir verabschieden. Los, komm hervor aus meiner Körperhöhle. Ich sehe dich da im Schatten meiner Rippen umherhuschen.
Aber du scheinst nicht unruhig oder wirklich überrascht über meine neue Aufmerksamkeit, du hast wohl auf diese Konfrontation gewartet. Wie gut bist du nun vorbereitet? Wie hast du deine Verteidigung strukturiert? So unvermittelt, wie mich das alles traf, diese Erkenntnis, diese Offenbarung, ein Shift in meinem Selbst-Bewusstsein, meiner eigenen Wahrnehmung , werde ich kaum eine Chance haben zu gewinnen. Was wird denn von mir übrigbleiben? Ich entscheide mich für eine aggressive Variante, Ich greife überraschend tief in mich selbst hinein und trotz aller Schmerzen ziehe ich dich aus meinem Dunkelsten hervor, aus dieser Caverne, die du da bewohnst. Ob du sie geschaffen hast oder du dich nur eingenistet hast in einen Ort, der unbekannt, aber wohl nötig war, der Teil jener leichten Unschuld ist, mit der wir geboren werden. Nah an meinem Herzen mit direktem Zugang zu eben dieser Pumpe.  Du hast dort tuberkulosegleich gewartet. Wann wolltest du durchbrechen, ausbrechen um alles zu beherrschen? Erst wenn ich schwach bin, in einem Moment in dem ich Schutz suchen würde - auch in mir, wo du dann gewartet hättest. Doch mit meiner raschen Handlung hast du nicht gerechnet. Du blickst mich überrascht an, entwurzelt und unsicher. Doch auch ich ohne feste Erwartung sehe dich überrascht an.
Man sieht, dass du lange im Schatten fern der Sonne warst. Doch du wirkst nicht bleich und abgemagert. Nein, du bist nur weiß, hell, schon fast strahlend. Dein Haar so lang und blond, einem Himmelswesen gleich. Auch deine dünne Gestalt ist zart und in der Tat unschuldig. Wer bist du? Du bist schön.
Doch du siehst mich nur an - ganz ruhig und schweigst. Ich weiß nun, dass du nur für mich existierst. Ich danke dir! Während ich mich nicht traue zu zwinkern um dir keine Fluchtmöglichkeit zu bieten und meine Augen beginnen auszutrocknen, durchfährt mich ein heftiger Schmerz. Mein Körper schreit nach dir, es ist der Entzug von dir, der mich mit Leiden straft. Unter Tränen und Krämpfen, aber mit klarem Verstand - so klar wie noch nie - bitte ich dich unterwürfig, denn ich weiß in meinen schmerzverzerrten Windungen und Wendungen um mich selbst, es ist kein Leben mehr ohne dich mehr möglich:
Bleib in meinem Innersten, bleibe meine Unwucht!

7.5.12

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