Für die Einzige
Die Unwucht in mir
Wie bist du eigentlich hier her gekommen? Ich bin der
Meinung, dass ich die nie hierher eingeladen habe. So fremdkörpergleich spüre
ich dich in mir. Wenn ich Hüpfe spüre ich, dass mein Gewicht nicht stimmt, und
auf einem Bein kann ich kaum noch das Gleichgewicht halten. Du bist die Unwucht
in mir. Und doch - bist du nicht vollkommen unbekannt. Es fühlt sich an, als ob
du schon lange hier wärest, vielleicht sogar, als ob du auf mich gewartet
hättest. Du scheinst ewig, du hier in meinem Innersten bevor es existierte. Wie
kann das sein? Hast du dich ganz langsam an mich herangepirscht, mit jedem
meiner Wimpernschläge einen Hauch näher heran an mich - in mich. Etwa so zart
und unschuldig, dass ich dich von jeder Schuld freisprechen möchte? Bis du dann
mich von innen erfüllst und antreibst, nun jede Handlung diktierst. Aber ich
unterstelle dir ein heimtückisches Momentum, so wird es für mich greifbarer,
doch die Frage bleibt: Wie kann das sein?
Verzeih mir diese Frage, aber antworte mir. Von deinem
Mantel der Unsichtbarkeit entblößt, erschrickst du mich. Mein Körper erzittert
unter dieser Erkenntnis, während mein Herz erstarrt. Wieso ist mein eigenes
Herz mir so fremd - der vertraute Puls in meinen Arterien, ich vermisse
ihn. Du bist nicht nur ein Eindringling,
du bist auch ein Dieb. Du hast mir meinen angeborenen Rhythmus gestohlen und
durch etwas ersetzt, was mich weniger frei atmen lässt. Sitzt du da auf meinem
Herzen? Hältst du meine Lungenflügel so fest umklammert? Oder nährst du dich -
in mir - von mir? Verbrauchst du etwa all jenen kostbaren Sauerstoff den ich
mühsam in mich hineinsauge? Hör auf damit!
Niemand hat dir die Erlaubnis gegeben - ich habe dir die
Erlaubnis nicht gegeben! Lass es oder zeige dich wenigstens. Du kennst mich
wohl gut, aber du bleibst unerkannt. Ich weiß, dass du da drin steckst, also
zeige dich. Lass mich an meinem Selbstverlust, dem Raubbau an mir selbst
teilhaben, lass mich, wenn auch kraftlos, wenn auch machtlos, wenigstens
zusehen. Ich will mich von mir
verabschieden. Los, komm hervor aus meiner Körperhöhle. Ich sehe dich da im
Schatten meiner Rippen umherhuschen.
Aber du scheinst nicht unruhig oder wirklich überrascht über
meine neue Aufmerksamkeit, du hast wohl auf diese Konfrontation gewartet. Wie
gut bist du nun vorbereitet? Wie hast du deine Verteidigung strukturiert? So
unvermittelt, wie mich das alles traf, diese Erkenntnis, diese Offenbarung, ein
Shift in meinem Selbst-Bewusstsein, meiner eigenen Wahrnehmung , werde ich kaum
eine Chance haben zu gewinnen. Was wird denn von mir übrigbleiben? Ich
entscheide mich für eine aggressive Variante, Ich greife überraschend tief in
mich selbst hinein und trotz aller Schmerzen ziehe ich dich aus meinem
Dunkelsten hervor, aus dieser Caverne, die du da bewohnst. Ob du sie geschaffen
hast oder du dich nur eingenistet hast in einen Ort, der unbekannt, aber wohl
nötig war, der Teil jener leichten Unschuld ist, mit der wir geboren werden.
Nah an meinem Herzen mit direktem Zugang zu eben dieser Pumpe. Du hast dort tuberkulosegleich gewartet. Wann
wolltest du durchbrechen, ausbrechen um alles zu beherrschen? Erst wenn ich
schwach bin, in einem Moment in dem ich Schutz suchen würde - auch in mir, wo
du dann gewartet hättest. Doch mit meiner raschen Handlung hast du nicht
gerechnet. Du blickst mich überrascht an, entwurzelt und unsicher. Doch auch
ich ohne feste Erwartung sehe dich überrascht an.
Man sieht, dass du lange im Schatten fern der Sonne warst.
Doch du wirkst nicht bleich und abgemagert. Nein, du bist nur weiß, hell, schon
fast strahlend. Dein Haar so lang und blond, einem Himmelswesen gleich. Auch
deine dünne Gestalt ist zart und in der Tat unschuldig. Wer bist du? Du bist
schön.
Doch du siehst mich nur an - ganz ruhig und schweigst. Ich
weiß nun, dass du nur für mich existierst. Ich danke dir! Während ich mich
nicht traue zu zwinkern um dir keine Fluchtmöglichkeit zu bieten und meine
Augen beginnen auszutrocknen, durchfährt mich ein heftiger Schmerz. Mein Körper
schreit nach dir, es ist der Entzug von dir, der mich mit Leiden straft. Unter
Tränen und Krämpfen, aber mit klarem Verstand - so klar wie noch nie - bitte
ich dich unterwürfig, denn ich weiß in meinen schmerzverzerrten Windungen und
Wendungen um mich selbst, es ist kein Leben mehr ohne dich mehr möglich:
Bleib in meinem Innersten, bleibe meine Unwucht!
7.5.12
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